Die Einwanderstraßen in unserer Heimat

Dass unsere nächste Umgebung von Rheinfranken her besiedelt wurde ist wohl unumstritten. Nicht umsonst finden wir im Gebiet von Köln bis nach Wiesbaden solche uns allen bekannte Ortsnamen, wie Adorf, Elsdorf, Furth, Herold, Hohenstein, Kappel, Leubsdorf, Limbach, Neukirchen, Reitzenhain, Scharfenstein, Schönau, Schwarzenberg, Stollberg, Thalheim, Wolkenburg und andere.

Es ist einleuchtend, dass lange vor der Eroberung unserer Heimat durch die germanisch- fränkischen Scharen bereits Pfade und Wege allereinfachster Art durch den Miriquidi bestanden haben. Zeugen dieser Tatsache können die steinzeitlichen Funde sein. Unter anderem wurden in Auerswalde und in Oberfrohna Steinkeile gefunden und in Köthensdorf eine Feuersteinspitze.

Der Siedlerstrom der West-Ost-Wanderer musste auf die Mulde als erstes großes Hindernis stoßen. Er musste sich, da man den Fluss wegen seiner Gefährlichkeit nicht einfach durchschreiten konnte, auf bestimmte Furten drängen. Wenn wir daraufhin die Landkarte überschauen, können das nur die Übergänge bei Waldenburg, Penig und Rochlitz gewesen sein. Es lassen sich also drei Einfallsrichtungen in das Mulde-Chemnitz-Dreieck erkennen:

Die erste bei Waldenburg, ursprünglich eine Furt. Sie wird 1143 urkundlich erwähnt bei der Grenzbestimmung des Klosterbesitzes der Benediktinerinnen zu Remse, als König Konrad III. dem Kloster Bürgel 100 Königshufen Landes schenkte: "ab oriente usque ad pontem Borens ad semitam Bohemicam", das heißt im Osten bis zur Brücke Borens zur böhmischen Straße. Die Richtung dieser Straße: Waldenburg - Callenberg - Obertirschheim - Kuhschnappel - Lungwitz - Gersdorf - Niederzwönitz - Grünhain - Schmiedeberg in Böhmen.

Die "Rochlitzer Poststraße", wie sie bereits auf dem Quadratmeilenblatt von 1792 genannt ist, überschneidet unter anderem die Orte Wiederau, Diethensdorf, Claußnitz, Garnsdorf, Auerswalde. Anfang des 18. Jahrhunderts soll diese Poststraße von Auerswalde durch den Sechsrutenwald und Hilbersdorf zum Johannestor herein nach Chemnitz geführt haben. Sie mied bis dahin das sumpfige Chemnitztal und wurde erst Ende des 18. Jahrhunderts über Draisdorf gelegt, um die "böhmische Straße" von Penig her zu erreichen.

Wann sie entstanden sein mag? Vielleicht dürfte sie bei der Übergabe der Grafschaft Rochlitz an Konrad von Wettin im Jahre 1143 als Straßenzug in einfachster Form bereits bestanden haben. Sie führte ebenfalls als eine andere "hohe Straße" in angemessener Entfernung auf dem Ostufer des Chemnitztales hin und verband die Untertanendörfer des Klosters Zschillen seit 1168 miteinander. Ihre früheste Entstehung könnten die steinzeitlichen Funde von Garnsdorf, Markersdorf und Auerswalde nachweisen.

Die Leipziger oder Reitzenhainer Straße nach Böhmen

Hier wollen wir die Betrachtungen etwas eingehender vornehmen. Die älteste Nachricht über diese Straße, die sogar als "platea" (Heerstraße) angesprochen wurde, stammt aus einem Bericht, worin sie Bischof Thietmar von Merseburg im Jahre 892 bei Bischof Arnos Tod im Bereiche des Gaues Chutizi unweit des Chemnitzflusses nennt. Wir glauben in ihr die Straße Leipzig - Chemnitz - Zschopau - Marienberg nach Prag wiederzuerkennen. Sie überschritt bei Penig die Mulde: "1292 per decursum Mulde usque Schapam et Schapam sursum usque ad antiquam semitam Bohemiorum que securit proprietatem Kameniz", das heißt vom Laufe der Mulde bis zur Zschopau und von der Zschopau aufwärts bis zur böhmischen Straße, die das Anwesen Chemnitz durchschneidet, wodurch diese Stadt zum Mittelpunkt des böhmischen Handels wurde.

Zur Entstehung der Leipziger Straße

Anfänglich haben sich die vorgeschichtlichen Menschen zweifellos durch den Wald Jagd- pfade gebahnt, die an Wildwechsel herangeführt haben. Berührungen mit anderen Siedlergruppen müssen nicht immer zu bewaffneten Auseinandersetzungen geführt haben, sondern dienten auch dem Austausch von Produkten. Dieser erfolgte natürlich nach beiden Richtungen. So mag, von uns aus betrachtet, verhältnismäßig rasch, ein wichtiger Verkehrsweg entstanden sein. Man darf nicht vergessen, dass nicht jeder der heutigen Straßen eine solche Bedeutung zukam, wie der Leipziger Straße. Eine solche Verkehrsader musste von möglichst vielen Siedlungen aus zugänglich sein und die Gelegenheit bieten, die verschiedenartigsten Erzeugnisse einzuhandeln. Unter diesen Handelswerten scheint das Salz eine bevorzugte Rolle gespielt zu haben.

Die wirtschaftliche Bedeutung der Leipziger Straße

Vielleicht kann uns der Zolltarif vom Jahre 1471 ein Bild über den Warenaustausch geben. Penig war insofern eine Art Kontrollpunkt.

Danach erhob man Zoll: Drei Pfennig von jedem Getreide-, Salz-, Bier- und Weinfuder sowie von Karren mit Nüssen und Kastanien. Zwei Pfennig hatte ein Kohlenwagen, sechs Pfennig ein Frachtwagen mit Kaufmannsgütern zu bezahlen und gar zwei Groschen erhob man für ein Fass Wein, welches fünf bis sechs Eimer enthielt. Pferde, Ochsen, Kühe, Schweine verzollte man mit drei Hellern. Garnstücke und Gebinde, ebenso leere Wagen oder Strohwagen zahlten drei Heller Zoll. Außerdem wurde jeder Karren mit einem Pfennig Wegegeld, Träger mit Waren aller Art mit einem Heller belegt. Ein Jude, der des Weges zog, entrichtete den hohen Zoll von zwei Groschen, der ohne Waren einen Groschen.

Welche Bedeutung Penig als Markt besaß, beweist auch die Anwendung des Peniger Getreide-(Scheffel-)Maßes: 1 PM = 4 Siebmaß = 28 Dresdner Metzen. Der Dresdner war kleiner, der Waldenburger gleichgroß. Ein Dresdner Scheffel = 103,9 Liter = 4 Metzen.

Bereits 1527 soll die erste "steinerne" Brücke in Penig gebaut worden sein. Es mögen allerdings nur die Pfeiler steinern gewesen sein, auf denen das Gebälk ruhte, da man sich zu dieser Zeit noch keine steinernen Brückenbogen zu errichten getraute. Sie brannte 1547 ab. Am Morgen des 11. Mai 1595 sind Juden von Prag zum ersten Male darüber gefahren, und so ist sie hiernach die Judenbrücke genannt worden. 1681 ziehen starke Pferdetransporte unter Führung eines "wienerischen Leutnants" über die Straße. 1695 zählte ein solcher Transport 383 Koppelpferde. Es war die Zeit, in der sich Österreich kaum gegen die Türken erwehren konnte.

Weshalb die Leipziger Straße in unserer nächsten Umgebung keine andere Richtung eingeschlagen hat? Die meisten Experten sind der Meinung, diese Straße müsse als uralter Weg gewissermaßen schon die neue Straße vorgezeichnet haben. Nun ist aber aus alten Karten ersichtlich, dass von Chemnitz heraus über Herrenhaide (1792) noch die sogenannte "kleine Straße", bei der Wasserschänke abbiegend, bestanden hat.

Die Absicht, diese Straße, die den steilen Hartmannsdorfer Berg umging, anders zu bauen, scheint die sächsische Regierung tatsächlich gehabt zu haben, denn 1793 wurde eine Abordnung Burgstädter Industrieller in Dresden beim Minister vorstellig, er möge die neu geplante Chemnitz - Leipziger - Straße nicht, wie in Aussicht genommen, über Burgstädt legen. Diesem Wunsche wurde anno dazumal leider entsprochen. In der Folge blieb Burgstädt ein Landstädtchen.

Die Leipziger Straße wird häufig "hohe Straße" genannt, wohl weil sie auf den Höhen dahinführte und die Täler mit ihren zahlreichen Wasserfluten sorgsam mied, wobei sie den Fluss auf dem kürzesten, freilich steilsten Wege überschreiten musste.

Eine Urkunde von 1440 sagt von den Straßen um Chemnitz, es seien einige durch Bäume, aufgeworfene Gräben und andere Zeichen beraint, das solle nun auch mit den übrigen Straßenrändern geschehen. Dabei sei die Straße so breit zu halten, dass drei beladene Rüstwagen nebeneinander fahren oder einander ausweichen könnten.

Die Straße, die aus dem gleichen Erdboden wie das benachbarte Feld bestand, versumpfte bei andauerndem Regenwetter und bei starkem Verkehr. Wenn in alten Urkunden öfters betont wird, Lastwagen hätten des Zolles wegen "dem rechten Gleis" zu folgen, so weist das ebenfalls auf den Zustand der Straße hin, in die die Räder tiefe Furchen zogen, aus denen sich ein schwer beladenes Gefährt nur mit größter Anstrengung lösen konnte.

Vermutlich deswegen wurde sehr bald den Bewohnern der anliegenden Dörfer die Verpflichtung zu Straßenausbesserungsarbeiten gerichtlich in jedem Gutskaufvertrag festgelegt. Trotzdem weigerten sich die Röhrsdorfer Bauern bereits 1563, den ihnen obliegenden Bau der Leipziger Steaße auszuführen, bis der Amtsschösser dem Rate der Stadt Chemnitz zu Gemüte führte, dass diese Weigerung nicht ganz unberechtigt wäre, weil ihnen das übliche Bier nicht zugesagt worden war. In einem Aktenstück von 1744 berichte der Straßenbauinspektor, die durch Penig führende "hohe Straße" sei löchrig, morastig, zerfahren und grabenlos.

Auch Wegweiser standen an dieser Straße. Der Älteste bei der Wasserschänke, der auf den Flurnamen "Zuckmantel", das heißt Mantelkiefer, hinwies. 1609 bestand die "Mühlauer Kiefer" und 1651eine an der Landstraße bei Chursdorf. Dazu kamen eine ganze Anzahl heute noch bekannter Schankstätten: Der "Zeisig" bei Penig, die "Linde", die "Pumpschänke" bei Chursdorf, die "Wasserschänke", das Schankgut Röhrsdorf (beim heutigen Wildpark), die neuen Schenken südlich von Chemnitz und der "Goldene Hahn" bei Altenhain.

Vielfältiges Geschehen sah die Leipziger Straße

Bald waren es die Eroberer, wie 892, bald waren es die Boten des Christentums, die zur Bekehrung der heidnischen Slawen eingesetzt wurden, bald waren es die Züge germanischer Ritter und Bauern, die hier entlang zogen. Unter den ersten mögen wohl die Benediktinermönche gewesen sein, die um 1136 zur Errichtung des Bergklosters Chemnitz schritten, das ihnen im Jahre 1143 König Conrad III. als Besitz bestätigte.

Die Gelegenheit, sich auf diesen Straßen unrechtmäßig zu bereichern, war günstig. Den Drachenfelser und Zinnberger Rittern, ja auch Kunz von Kaufungen sagt man jedenfalls solche Betätigung nach.

1503 belebten Wallfahrtszüge die Straße. So als von Penig etwa 200 Männer und Frauen nach Grünthal in Schlesien zum "wundertätigen" Muttergottesbild pilgerten. Voran trug man eine Fahne mit dem Bilde der Jungfrau Maria und dem Stadtwappen Penigs, der Altenburger Rose. Weinend, im Gänsemarsch, seien die Wallfahrer am 7. August aufgebrochen, ohne dass auch nur ein Stück Wegzehrung mitgenommen wurde, und seien am 16. August wieder in die Heimat gelangt, so berichtet der Kanzlist der Peniger Herrschaft.

1547, im sogenannten Schmalkaldischen Krieg, sah die Straße abermals böhmische Krieger. Der Kurfürst Johann Friedrich hatte die Truppen des Herzogs Moritz aus seinem Lande vertrieben und forderte Penig am 16. Januar auf, 3000 bis 4000 seiner Krieger aufzunehmen. Penig, das zum Gebiet Meißen gehörte, bat Herzog Moritz, der sich in Chemnitz aufhielt, um Hilfe. Zur Beruhigung sandte er der Stadt Chemnitz 80 Husaren und 95 schwarze Reiter, die ihm sein Schwager, der Böhmenkönig, zur Unterstützung geschickt hatte. Doch der Chronist, der von ihnen berichtet, ist nicht gut auf das "fremde, unchristliche und gottlose Volk" zu sprechen.

1632, im Dreißigjährigen Krieg, zogen anfangs nur einzelne Trupps von Soldaten über die Straße, ließen freilich in den angrenzenden Dörfern bis nach Chemnitz hin eine große Anzahl Bauernhöfe in Schutt und Asche zurück, bis General Holk und Wallenstein nach der verlorenen Schlacht bei Lützen diese Rückzugsstraße benützten. Holk ließ dabei Penig in Brand stecken.

1703 sah die Straße den Aufzug des österreichischen Herzogs Karl, der König von Spanien geworden war. Er reiste unter voller Pracht des spanischen Hofstaates mit 50 Kutschen und Kaleschen in Begleitung von 290 Personen.

1706 rückten die Schweden unter König Karl XII. Von Schweden auf der Straße vor, besetzten Penig und die umliegenden Dörfer. Karl bezog in Penig Quartier.

1719 zog Zar Peter der Große zum Besuche des sächsischen Hofes die Straße entlang.

1806 führte Prinz Louis Ferdinand einen Teil der preußischen Armee nach Thüringen. Bald folgten die geschlagenen Teile der sächsischen Armee nach der Schlacht bei Jena und Auerstädt.

1813 tauchten die ersten Schwärme russischer Kosaken schon im März auf, denen Blücher mit seinem Heere am 1. April folgte, danach König Friedrich Wilhelm III. Von Preußen am 30. April von Chemnitz her. Aber bereits am 3. Mai flutete die geschlagene Armee von Großgörschen zurück. Zar Alexander, der König von Preußen, Russen, Franzosen, ächzende Verwundete auf schwerfälligen Wagen waren in diesem Menschenstrome. Am 7. Mai traten bereits Bayern als Vorhut der französischen Armee auf, dann wurde es still bis gegen Ende September 1813. Die heranrückende österreichische und russische Armee fühlte langsam vor (kleines Gefecht bei Röhrsdorf) gegen den französisch-polnischen Vorposten, bis sie nach hartnäckigem und blutigen Kampfe vom 4. bis 9. Oktober den Muldenübergang Penig nehmen konnten.

1849, Anfang Mai, rückten auf der Straße 40 Freischärler, gut bewaffnet mit Ober- und Untergewehr, durch Burgstädt nach Mittweida vor. Ihnen folgten weitere 1500 Mann, die nur mit Piken, Sensen, alten Sicheln und rostigen Säbeln ausgerüstet waren. Ihr Hauptmann war ein Kaufmann aus Glauchau. Sie wollten den Revolutionären in Dresden zu Hilfe kommen. Danach konnte lange Zeit hindurch der friedliche Verkehr seine Bahnen ziehen, wenn auch die Eisenbahn die meisten Gütertransporte wegnahm, so dass die zahlreichen Gasthöfe vereinsamten.

An der Leipziger Straße in Hartmannsdorf befindet sich auch eine Gedenkstätte an die Kämpfe der Arbeiterschaft. Am 15. Januar 1930 demonstrierten hunderte Arbeiter aus dem gesamten Textilgebiet an der Recenia um gerechte Löhne. Im geheimen Auftrag erschoss hier die deutsche Polizei fünf deutsche Arbeiter, dessen bekanntester Vertreter wohl Bruno Freitag war, dessen Name die Fabrik nach dem 2. Weltkrieg erhielt.

In den letzten Tagen des 2. Weltkrieges fluteten die Kolonnen des zerschlagenen deutschen Heeres überstürzt nach Chemnitz zurück, hart bedrängt von amerikanischen Panzerkampfwagen. Eine Zeit lang zog sich zwischen Röhrsdorf und dem Bornaer Berg die Frontlinie dahin, bis schließlich die vom Osten heranrückenden Truppen der Roten Armee auf der Leipziger Straße heranzogen und gemeinsam mit den Amerikanern unser Gebiet befreiten.

Heute dient die Leipziger Straße als Bundestraße wieder dem friedlichen Verkehr und die alltäglichen Verstopfungen beweisen die Wichtigkeit dieser Magistrale.